„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ von Daniela Krien

Sommer 1990 die Zeit der Wende in der DDR. Die 17-jährige Maria lebt mit ihrem Freund Johannes am Hof seiner Eltern nahe der deutsch-deutschen Grenze. Maria ist verträumt und lässt sich treiben ohne beruflicher Perspektive, sie schwänzt die Schule, stattdessen liest sie lieber. Im Gegensatz zu Johannes der mit der Wende seine berufliche Leidenschaft, das Fotografieren, entdeckt. Nicht weit vom Brendelhof entfernt liegt der Henner-Hof. Während der Fall der Mauer die Geschichte für immer verändert, scheint auf diesem Hof die Zeit still zu stehen. Das einsame und zurückgezogene Leben des vierzigjährigen Henners erregt Misstrauen unter den Bewohnern. Es umgibt ihn aber auch eine geheimnisvolle Ausstrahlung, die  auf Frauen sehr anziehend wirkt. In diesem Sommer voller Umbrüche begegnen sich Maria und Henner zuerst zufällig, bis sie die Sehnsucht immer weiter zueinander treibt.

„Und die Liebe ward der Ursprung der Welt und die Beherrscherin der Welt; aber alle ihre Wege sind voll von Blumen und Blut, Blumen und Blut“

KNUT Hamsun, aus der erzählung victoria

Der Roman wird aus der Sicht Marias erzählt und lässt den Leser somit tief eintauchen in ihre Gedanken- und Gefühlswelt. Daniela Krien schreibt in einem einfachen aber kraftvollen Erzählstil der sofort die Bilder im Kopf aufleben lässt und einen Einblick auf die einzelnen Personen freigibt. Die Protagonisten sind Menschen mit Ecken und Kanten. Auch die karge Umgebung sieht man fast schon vor sich. Umrahmt wird die Liebesgeschichte von den Ereignissen der Wende und den damit einhergehenden Hoffnungen und Ängsten der Menschen und dem Lebensgefühl, die verschlafene Atmosphäre einerseits und die Aufbruchstimmung andererseits. Man erlebt die ersten Besuche im Westen und die neuen Möglichkeiten, die sich daraus entwickeln.

Achtung Spoiler

Maria ist von zu Hause ausgezogen, um sich der tiefen Traurigkeit ihrer Mutter zu entziehen. Bei den Brendels erlebt sie den Zusammenhalt und die Stabilität, die ihr zu Hause gefehlt haben und wird schnell als Familienmitglied geschätzt. Maria lernen wir als naives Mädchen kennen, das viel Zeit mit lesen verbringt, die Schule schwänzt und ihren Aufgaben am Hof nachkommt. Meines Erachtens ist ihr Charakter typisch für Mädchen in diesem Alter, die ihren Weg noch finden müssen.

Sie liebt ihren Freund Johannes, findet aber nicht die Erfüllung in dieser Liebe. Johannes ist dermaßen von der Fotografie fasziniert, dass er Maria nur mehr durch sein Objektiv betrachtet und die Veränderungen seiner Freundin kaum wahrnimmt. Als sich Maria und Henner treffen, ist die Spannung zwischen den beiden überwältigend und es dauert nicht lange, bis sie sich begegnen. Zufällige Berührungen lösen eine Sehnsucht aus und die beiden beginnen eine Affäre. Das Mädchen ist fasziniert und gibt sich dieser Liebe und dem geheimnisvollen Mann hin. Er ist gleichsam rücksichtslos und einfühlsam.

Als Leser kann man die Anziehung, die von ihm ausgeht förmlich spüren. Maria liefert sich dem älteren Mann grenzenlos aus und scheint ihm und seiner rohen Liebe verfallen. Die beiden verstricken sich immer weiter in ein Netz aus Lügen, das nur Alfred der Hofknecht zu durchschauen scheint.  

„Es gibt Dinge, die können gleich erzählt werden, andere haben ihre eigene Zeit, und manche sind unsagbar.“

Seite 118

Aus der sexuellen Begierde entwickeln sich tiefe Gefühle und eine, auf Dauer unmögliche, Beziehung. Eine Entscheidung steht an und mit dieser legt sich ein beklemmendes Gefühl, über die stimmungsvolle Atomsphäre. Folgender Vers lässt sich wie eine Vorahnung lesen:

„Wir sind die Wandrer ohne Ziele, / Die Wolken, die der Wind verweht, / Die Blumen zitternd in Todeskühle, / Die warten, bis man sie niedermäht“

Seite 153

Das Ende des Sommers bringt auch das Ende der Liebe mit sich. Nach den Hochgefühlen folgt der tiefe Fall und eine Trauer, an der das Mädchen fast zerbricht. Maria und Johannes verlassen den Hof in eine ungewisse Zukunft. Trost geben ihr die Worte aus „die Brüder Karamasov“:

„Irgendwann würden wir alle auferstehen und uns wiedersehen und alles erzählen. Wirklich alles.“

Seite 235

Fazit

Daniela Krien versteht es, das Thema der Wende in einer leichten Weise zu beschreiben, ohne dass diese die Geschichte dominieren. Daneben entwickelt sich eine gewaltige Liebesgeschichte, die den Leser gleichermaßen fasziniert und aufgewühlt zurücklässt. Mir persönlich gefällt besonders das unerwartete Ende, da es zwar eine traurige Endgültigkeit bringt,  zugleich aber eine hoffnungsvolle Zukunft erwarten lässt und somit keine „übliche Ende gut alles gut“ Liebesgeschichte ist. Zudem ist es mir leicht gefallen, die Personen zu mögen. Maria der sowohl naive als auch intelligente Teenager mit ihrem altersuntypischen Faible zu Dostojewsiks Werken und Henner der attraktive grobe, impulsive aber auch verletzliche Mann, so belesen und weise aber auch so unbedacht und dumm. Dieses Buch hat mich nicht mehr losgelassen und einmal angefangen, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen.

(verfasst von Manuela)

Buchinformationen

 „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ – Daniela Krien, List Taschenbuch, 235 Seiten ISBN: 978-3548611310 

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