„Vom Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells

Jules und seine Geschwister führen ein behütetes Familienleben, bis ein Schicksalsschlag das Leben auf eine harte Probe stellt. Von nun an gehen sie ihre eigenen Wege und verlieren sich aus den Augen. Die drei Geschwister sind grundverschieden und genauso unterschiedlich prägen die Geschehnisse ihren Weg zum Erwachsenwerden. Sie sind schicksalhaft miteinander verbunden und trotzdem allein. Der bisher vor Selbstbewusstsein strotzende Jules flieht immer mehr in seine Traumwelt. Als er die geheimnisvolle Alva kennenlernt, begreift er noch nicht, was sie ihm Jahre später bedeuten wird.

„Dein wahrer Freund ist jemand, der immer da ist, der dein ganzes Leben an deiner Seite geht. Du musst ihn finden, das ist wichtiger als alles, auch als die Liebe. Denn die Liebe kann vergehen.“

Seite 33

Ein Buch über Verlust und Einsamkeit verpackt in einer großartigen Liebesgeschichte.

Achtung Spoiler

Trotz der kleinen Streitereien zwischen den Geschwistern und den verdrängten Konflikten in der Familie, die man zu Beginn des Romans deutlich spürt, sind die Kinder in einer vertrauten, familiären Umgebung aufgewachsen. Dem Autor gelingt es, dies authentisch zu beschreiben, ohne zu verschönern. Dabei bleibt dem Leser mancher Blick hinter die Fassade verwehrt, so bleiben die Eltern und deren Vergangenheit schwer durchschaubar. Die unbeschwerte Kindheit endet unvorbereitet mit dem Tod der Eltern kurz nach Weihnachten. Besonders packend ist ab diesem Zeitpunkt die Macht eines Ereignisses auf das ganze Leben und die Erkenntnis,  wie zerbrechlich ein Lebensweg sein kann, wenn ein Augenblick die Lebensbahn neu ausrichtet.

„…und erst spät habe ich verstanden, dass in Wahrheit nur ich selbst der Architekt meiner Existenz bin. Ich bin es, wenn ich zulasse, dass meine Vergangenheit mich beeinflusst und ich bin es umgekehrt genauso, wenn ich mich ihr widersetze.“

Seite 337

 Es gibt Ereignisse im Leben, die dazu führen, dass man zu einer andern Persönlichkeit wird, als die, die man hätte sein können und  sich die eigenen Ziele, der Charakter und die Träume anders entfalten als bisher. Heilt Zeit wie im Sprichwort alle Wunden, oder lassen sich diese Entwicklungen nicht mehr rückgängig machen?

„Das hier ist alles wie eine Saat. Das Internat, die Schule, was mit meinen Eltern passiert ist. Das alles wird in mir gesät, aber ich kann nicht sehen, was es aus mir macht. Erst wenn ich ein Erwachsener bin, kommt die Ernte und dann ist es zu spät.“

Seite 67

Die Charaktere sind sehr unterschiedlich und versuchen auf ihre eigene Art das Familiengeflecht, das sie so früh verloren hatten, wiederzufinden. Marty ist der kleine Streber unter den Geschwistern, vertieft sich im Laufe der Jugend in seine Computerspiele und wird ein erfolgreicher Erwachsener. Sowohl sein berufliches Leben als auch seine Ehe wirken auf mich fast schon zu vernünftig. Die Schwester Liz kostet das Leben in allen Zügen aus und ist sich Ihrer Wirkung auf andere durchaus bewusst. Bewundernswert finde ich ihre Gabe, sich hingebungsvoll auf das Leben einzulassen und sowohl uneingeschränkt  zu lieben als auch bedingungslos zu scheitern, auch wenn ihre Ruhelosigkeit nur ein Ausweg ist, nicht mit den Problemen ihres bisherigen Lebens konfrontiert zu sein.

Bei dem jungen Jules hat man stetig das Gefühl, dass ihm seine Chancen entgleiten und er sein Leben verpasst. Er probiert sich, an die Wünsche seines Vaters anknüpfend, in Fotografie, ist aber nicht sonderlich erfolgreich und hat einige gescheiterte Beziehungen hinter sich. Erst als er Jahre später seine Jugendfreundin Alva wiederfindet, scheint er langsam zu sich zurück zu finden,  zu seinen Zielen, Träumen, Begabungen aber auch zu seinem Mut. Besonders in seinen Söhnen erkennt er sich wieder und schafft es nach und nach das verängstigte Kind in ihm abzulegen.

„Um Minuten gekämpft, wenn es darum ging, einen Bus noch zu erreichen. Jahre verschwendet, weil ich nicht das getan hatte, was ich wollte. „

Seite 187

Fazit

Der Autor schreibt in einer einzigartigen und tiefsinnigen Erzählweise. Dabei beschreibt er eindrucksvoll das Innenleben seiner Figuren. Gesellschaftliche Hintergründe lässt er dabei außen vor. Das ist keine Lektüre für zwischen durch, da viele Passagen wirken nach und lassen den Leser nachdenklich zurück. Mir hat es gerade deshalb so gefallen, weil es berührt und erschüttert aber am Ende auch hoffen lässt. Bemerkenswert finde ich auch, dass Benedict Wells in sehr  jungen Jahren bereits mit so viel Weisheit und Tiefgang schreibt. Die Liebesgeschichte zwischen Jules und Alva ist einzigartig. Beide haben Verluste ihrer Kindheit nie überwunden. Als sie wieder zueinander finden, ist es für beide ein spätes Erwachen.

(verfasst von Manuela)

Buchinformationen

Benedict Wells - "Vom Ende der Einsamkeit", Diogenes, 354 Seiten, ISBN-13: 978-325724444  

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