„Klopf an dein Herz“ von Amélie Nothomb

Marie ist eine schöne, begehrenswerte, junge Frau, deren Glück sich vom Neid ihrer Mitmenschen nährt. Männer laufen der attraktiven Frau hinterher, doch sie ist nur an ihrer Wirkung auf andere interessiert und suhlt sich in deren Neid.

Ihre erste Beziehung geht sie nur ein, da sie alle um diese perfekte Partnerschaft beneiden. Schnell wird Marie schwanger und bringt ein entzückendes Baby auf die Welt. Seit der Geburt verspürt sie eine schier grenzenlose Eifersucht auf ihre kleine Tochter Diane, die jetzt Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit ist. Das kleine Mädchen wird von ihrer Mutter abgelehnt, begreift aber schon sehr früh, dass hinter dieser Ablehnung Eifersucht steckt. Wieder einmal schafft Amelie Nothomb unvergleichliche Figuren. Eine unsichere Stadtschönheit, die gefühlskalt auf ihr Kind reagiert. Die kleine Diane ist übermäßig intelligent und erfasst die Gefühle ihrer Mitmenschen außerordentlich schnell.

„Einzig Marie war etwas bestimmt, und ihre höchstes Glück lag im Ausschluss der anderen.“ 

Seite 7

Die Figur der Diane hat mich von Beginn des Buches an berührt, da sie sich von der emotionalen Kälte ihrer Mutter nicht unterkriegen lies und mutig ihre Ziele verfolgt hat. Sie hat, obwohl sie sich zwischenzeitlich abgeschottet und ausschließlich in ihre Studienarbeit vertieft hat, ihre Stärke bewahrt und war trotz der ihr widerfahrenen Ablehnung und Missgunst in der Lage Gefühle zuzulassen und ihre Hoffnung zu bewahren. Ungeachtet der Verachtung ihrer Mutter hat sie ihr gegenüber nie Hass empfunden, sondern Mitgefühl. Tief in ihrem Inneren hat sie erkannt, dass nicht die fehlende Liebe zu ihr Schuld an der Distanziertheit der Mutter ist, sondern deren Schwächen und Ängste.

„Ich aber erinner mich daran, und ich weiß, dass es kein Traum war, ich weiß, dass die Göttin meine Mutter ist, dass sie mich genauso liebt wie ich sie und dass es diese Liebe gibt.“

Seite 29

Aber sie hat auch gelernt, sich von den zerstörerischen Kräften von Menschen zu distanzieren und diese Lebensabschnitte hinter sich zu lassen. Die Figur zeigt dem Leser auf eindrucksvolle Weise wie man als heranwachsende Frau seinen Frieden mit der Vergangenheit schließt.

„Nur die Dummheit verlangt nach einem Abschluss“, schrieb Flaubert. Das lässt sich am besten daran erkennen, dass der Dumme im Streit stets das letzte Wort haben will.“

Seite 145

Achtung Spoiler

Erst mit der Geburt ihrer Schwester Célia, die ihre Mutter von Geburt an mit Liebe überhäuft, stürzt das Mädchen in eine tiefe Traurigkeit. In dieser Zeit wiederfährt Diane ein Unfall, bei dem sie nicht vor einem Auto ausgewichen ist und wird ins Krankenhaus eingeliefert. In einem Schlüsselmoment fragt der behandelnde Arzt das Mädchen ob es noch leben möchte. Nach kurzer Überlegung bejaht sie diese Frage aus tiefster Überzeugung und beschließt von nun an ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Von der Wirkung des Arztes ist Diane dermaßen überwältigt, dass sie sogar beschließt Medizin zu studieren – Fachrichtung Kardiologie. Den Grund für diese Fachrichtung erfahren wir etwas später im Buch:

„Es war eine Zeile von Alfred de Musset, die mich sehr beeindruckt hat: Klopf an dein Herz, denn dort sitzt das Genie.“

Seite 107

Diane wird auf einen Schlag erwachsen und fällt die Entscheidung, zu ihren Großeltern zu ziehen, die ihre Enkelin warmherzig aufnehmen. Der Vater des Mädchens liebt seine Tochter, ist aber von der Liebe zu seiner Frau dermaßen geblendet, dass er jeglichen Bezug zur Realität verliert und die Missstände zu Hause nicht erkennt.

Die junge Frau widmet sich intensiv ihrem Studium und vermeidet nähere zwischenmenschliche Beziehungen. Einzig zu einer Professorin, die sie aufgrund ihrer Vorträge und bisherigen Arbeiten sehr schätzt, baut sie eine engere freundschaftliche, fast schon zu intensive Beziehung auf. Diane ist voller Bewunderung für diese Frau und opfert jede freie Minute für sie. Bei der Professorin zu Hause trifft sie aber auf dieselbe Kälte wie sie es in ihrer Kindheit erlebt hat und distanziert sich stetig von der Frau, die sie bislang ausgenutzt hat.

Amelie Nothomb schafft zwei außergewöhnliche Mutter-Tochter-Beziehungen. Einerseits die Beziehung zu Diane, die durch Kaltherzigkeit und Ignoranz besticht andererseits eine Liebe, die die zweite Tochter zu erdrücken scheint. Liebe hat eine außergewöhnliche Kraft, sie lässt uns im positivsten Sinne Berge versetzen, entwickelt aber in schlimmsten Fällen auch zerstörerische Kräfte. Zu wenig davon macht uns krank und unsicher, zuviel davon kann uns erdrücken. Die Autorin versieht ihre Protagonisten mit Tiefe, und füllt die Figuren mit Leben, die Gefühle werden dadurch praktisch spürbar.  

Durch die einfache Erzählweise und ungewöhnlich Geschichte wird der Leser von Beginn an in die Geschichte gezogen und fühlt regelrecht mit den Personen mit. Sogar für die unsympathische Marie empfindet man ein aufrichtiges Mitgefühl.

Fazit:

Der Roman ist ein weiteres Beispiel für die außergewöhnliche Erzählkunst von Amelie Nothomb. Die Figuren, die sie in ihren Romanen erschafft sind einzigartig, entweder man liebt sie auf Anhieb oder sie sind einen sofort unsympathisch, auf jeden Fall sind sie immer außergewöhnlich, sowohl charakterlich als auch von ihrem äußeren Erscheinungsbild. Ich bin ein absoluter Fan, der einfachen aber immer wieder eindrucksvollen Geschichten dieser begabten Autorin. Ihre Stories leben nie von großen Handlungen aber von berührenden Personen und zwischenmenschlichen Beziehungen.

(verfasst von Manuela)

–> Danke an den Diogenes Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

Buchinformationen

Amelie Nothomb -"Klopf an dein Herz", diogenes, ISBN: 978-3257070866, 160 Seiten

… mit einem Klick zum Buch (portofrei Literatur erwerben auf HEYN.at):

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