In ihren Kindheitstagen wird Kya von allen die sie liebt binnen kürzester Zeit verlassen und muss sich wohl oder übel ohne jegliche Unterstützung in ihrer Marsch zurecht finden und über Wasser halten. Sie entwickelt dabei eine besondere Beziehung zu ihrer Umgebung und Heimat, lernt die Tier- und Pflanzenwelt zu lieben und zu verstehen und studiert diese eingehend. Das Leben im Einklang mit der Natur kommt jedoch gegen die nagende Einsamkeit und Sehnsucht des Marschmädchens nicht an. Die wilde Schönheit lässt sich zaghaft auf ihre Außenwelt ein und kommt wiederholt mit menschlicher Grausamkeit in Berührung…
Die Autorin versetzt die Leser mit ihrer Sprache in atemloses Staunen und Neugierde auf den weiteren Verlauf der Geschichte der faszinierenden wilden Frau, die von allen in Stich gelassen wurde. Die Zeitsprünge im Romanaufbau widmen sich der Gegenwart und dem Werdegang von Kya. Der Leser wird Stück für Stück an das erwachsene Marschmädchen herangeführt und lernt die Protagonistin hervorragend zu verstehen. Bereits die ersten Seiten lassen befürchten und erahnen, dass sich etwas sehr grausames in der Echtzeit zugetragen haben muss.
„‚Wenn du al genug bist, wirst du´s verstehen‘, sagte er. Kya wollte losschreien, dass sie zwar klein war, aber nicht blöd. Sie wusste, dass Pa der Grund war, warum alle weggingen. Was sie nicht verstand, warum keiner sie mitnahm.“
Seite 53
Delia Owens bewies Genialität und Ideenreichtum und schuf eine sagenhaft interessante und komplexe Protagonistin, die trotz ihrer schrecklichen Kindheit den Glauben an die Liebe nicht verliert und sich auf ständiger Suche nach einer zwischenmenschlichen Beziehung befindet. Es fällt schwer das unbefangene Marschmädchen, das Eitelkeit und Oberflächlichkeit nie gerlent hat, nicht zu mögen. Kya erlernt sämtliche Fähigkeiten um zu überleben nahezu alleine und darf nur in Dosen Freundlichkeiten und Nächstenliebe durch Leute aus dem Ort erfahren, die ihr ungefragt helfen. Kya beharrt, trotz ständigen Enttäuschungen und Verletzungen ihres schwachen Vertrauens in ihre Mitmenschen, in ihrer unumstößlichen Entschlossenheit und Unabhängigkeit.

Achtung Spoiler
Am interessantesten waren für mich Kyas Verhältnisse und zu den Männern in ihrem Leben. Einerseits Tate, der sie von Kindheitsbeinen an kennt und schätzt und eine sehr unschuldige und wertschätzende Beziehung zu dem schönen Mädchen aufbaut. Mit viel Geduld und liebevoller Bemühung bringt er ihr sogar das Lesen und Schreiben bei und fördert ihr Interesse für die Tierwelt, das er leidenschaftlich mit ihr teilt. Der junge Mann scheint das Marschmädchen tatsächlich zu lieben und entscheidet sich nur in seiner jugendlichen Verwirrung und zu Gunsten seiner Laufbahn dagegen Kya wieder zu sehen. Diesen Entschluss bereut er inbrünstig und versucht verzweifelt das Vertrauen und vor allem die Liebe der talentierten Frau aus der Marsch wieder zu gewinnen.
Das Marschmädchen lässt sich weder brechen noch benutzen. Am besten zeigt sich diese Tatsache in ihrer Beziehung zu Chase, der entgegen seiner Versprechungen nie ein echtes Interesse daran hatte Kya zu heiraten und mit ihr eine Familie zu gründen. Hinter ihrem Rücken führt er ein anderes Leben und vermählt sich mit seiner Jugendliebe. Er versucht Kya zu unterwerfen und möchte die Affäre im Schatten der Marsch fortführen, was das Marschmädchen zu unterbinden weiß. Mit wilder Entschlossenheit und Mut setzt sie sich zur Wehr.
„Als sie weit genug weg war, wendete er sein Boot und fuhr zurück aufs Meer. Verfluchte den Feigling in ihm, der sich nicht mal von ihr verabschieden konnte.“
Seite 198

Fazit
Was für ein athmosphärischer und mitreißender Bücherschatz „Der Gesang der Flusskrebse“ ist, wird spätestens nach den ersten fünfzig gelesenen Seiten klar. Diese einzigartige Geschichte über ein unfassbar kreatives Mädchen, das dem Spott und Hohn ihres Umfelds zum Trotz zu einer willenstraken und talentierten Frau heranwächst, muss einfach verzaubern und anregen.
Wer außergewöhliche Belletristik zu schätzen weiß und ein Faible für faszinierende Charaktere hat, wird dieses Buch lieben!
Buchinformationen
Delia Owens – „Der Gesang der Flusskrebse“, hanser blau, 464 Seiten, ISBN: 978-3-446-26419-9
(verfasst von Simone)
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