„Dankbarkeiten“ von Delphine De Vigan

Michka hat ein interessantes Leben geführt, ist intelligent und wortgewandt – zumindest war sie das einst, denn ihre Krankheit lässt sie ihre Wörter verlieren. An erster Stelle in ihrem anstrengenden Alltag und ihrer ständigen Suche nach den richtigen Floskeln steht ihr größter Wunsch sich bei bestimmten Mitmenschen aus ihrer Vergangenheit zu bedanken…

„Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie oft Sie in Ihrem Leben wirklich Danke gesagt haben? Ein echtes Danke. Als Ausdruck Ihrer Dankbarkeit, Ihrer Anerkennung, der Schuld, in der Sie stehen.“

Seite 11

„Dankbarkeiten“ wird aus der Sicht von den zwei Personen in Michkas Alltag geschildert. Die beiden Perspektiven und beschriebenen Träume der Hauptprotagonistin erlauben dem Leser einen intensiven Einblick in Michkas Schwierigkeiten und Gefühlslage. Die Autorin verfasst rührend schöne Dialoge und schafft es mit viel Sensibilität einen Eindruck von der problematischen Kommunikation mit dieser Krankheit zu vermitteln.

Es ist unmöglich das Buch nicht an sich heran zu lassen und kein Mitleid für die ehemals starke Michka zu empfinden, die Stück für Stück neben den Wörtern auch ihre Selbstständigkeit verliert. Die Hauptprotagonistin wird von der Autorin als starker und guter Mensch dargestellt, die tiefgehende Gefühle für Marie hegt, die als Mädchen auf ihre Nächstenliebe angewiesen war und auf sie zählen konnte. Marie hängt sehr an Michka und ist sehr bemüht sie bei der Erfüllung ihres großen Wunsches, ihren Dank ausdrücken zu dürfen, zu unterstützen. Unerwartete Hilfe und große Empathie erfährt Michka durch einen Logopäden, den sie im Seniorenheim kennenlernt und der sich weit über seine beruflichen Verpflichtungen für die Seniorin verantwortlich fühlt.

„Man muss kämpfen. Um jedes Wort. Jeden Zentimeter. Nichts aufgeben. Keine Silbe, keinen Konsonanten. Was bleibt, wenn die Sprache nicht mehr da ist?“

Seite 101

Achtung Spoiler

Bis zur letzten Seite des Buches habe ich inbrünstig gehofft, dass sich Jerome, der Logopäde, und Marie treffen und verlieben würden. Vielleicht wäre es zu viel des Guten gewesen und möglicherweise würde ich die Geschichte gar nicht so unglaublich schön finden, wenn die Autorin dieses (potenziell etwas zu dick aufgetragene) Ende gewählt hätte. Allerdings bleibt auch nach Beendigung des Romans so einiges offen und man weiß ja nie ob Jerome und Marie sich nicht vielleicht doch noch über den Weg laufen.. 😉

„Und sie wissen, dass sie es trotz ihrer Anstrengungen – dieses täglich immer wieder bei null angefangenen Kampfes – trotz dieses guten Willens, den sie zeigen, früher oder später erwischt“

Seite 124

Fazit

Bei diesem Buch handelt es sich um die sehr feinfühlig und wertschätzend formulierte Geschichte einer Dame, die mit einer schweren Krankheit kämpft und dabei nicht alleine dasteht, sondern von zwei sehr mitfühlenden und lieben Menschen begleitet wird. Nicht nur einmal musste ich während der Lektüre dieses wunderbaren Romanes tief durchatmen. Dieses Buch hat bei mir auf Grund meiner privaten Familiensituation einen Nerv getroffen und mich umso mehr berührt.

„Dankbarkeiten“ ist ein Buch über das Älterwerden und über die großen Stolpersteine und die allumfassende Einsamkeit. Ein stimmungsvoller Text über Mitmenschen, die nicht wegsehen, sondern tatkräftig mithelfen und der große Danke der ihnen allen gebührt. „Dankbarkeiten“ ist eines der gleichzeitig schönsten und traurigsten Bücher, die ich jemals lesen durfte. Mehrmals bekam ich während der Lektüre eine Gänsehaut und war sehr betroffen von dem Schicksal einer sehr starken und intelligenten Frau. Ich kann das Buch wärmstens weiterempfehlen und bin sehr dankbar es gelesen zu haben.

–> Danke an den Vorablesen für die Bereitstellung dieses faszinierenden Buches.

Buchinformationen

Delphine De Vigan – „Dankbarkeiten“, DuMont Buchverlag, 176 Seiten, ISBN: 978-3-8321-8112-3

(verfasst von Simone)

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