„Der Defekt“ von Leona Stahlmann

Mina lässt sich nach und nach mehr auf den Außenseiter Vakto ein, der ihr eine Art von körperlicher Liebe geben kann, wie es kein anderer vermag. Vatko erobert Minas Körper, lernt auf ihr zu spielen wie auf einer Geige und vereint ihren selbstgenannten Fehler mit seinen andersartigen Bedürfnissen. Die beiden spüren die körperliche Abhängigkeit vom anderen und ertasten anhand Vatkos unendlicher grausamer Fantasien kontinuierlich die weitreichenden Grenzen..

„Er erzählte seine Geschichte so lang, bis der Fehler eine helle Stelle geworden ist, die nur wenige überhaupt bemerken werden. Bis man sie selbst übersieht und sie eines Tages vergessen hat, als hätte es nie eine Stelle gegeben.“

Seite 150

Der Romanauftakt spielt in einem Sommer, der für zwei junge Menschen mit Bedürnissen, die sich von jenen (schier unschuldigen) ihrer Altersgenossen massiv unterscheiden, alles verändert. Hauptsächlich dreht sich „Der Defekt“ um die komplexe Bezeihung von Vatko und Mina und die große Auseinandersetzung Minas mit ihrer Sucht nach Schmerz, die nur der Außenseiter aus ihrer Klasse wirklich zu verstehen scheint.

Leona Stahlmann bedient sich für ihr Roman-Debüt einer besonderen und sinnlichen Erzählsprache. Manche Passagen wirken absichtlich wirr und lassen den Eindruck einer traumähnlichen Stimmung aufkommen und berühren auf interessante Art und Weise die eigenen Sinne. Teilweise konnte ich mit Hilfe der verzerrten Stimmung und der sehr adjektivreichen Sprache fast den Geruch der Pflanzen wahrnehmen und das Rascheln der Blätter im Wind hören.

Die Autorin beschreibt die Protagonistin Mina als ein junges Mädchen, das ihre eigenen Neigungen und Vorlieben Schritt für Schritt entdeckt und dabei gefährlich nahe am Abgrund wandelt. Nicht ungefährlich sind die Situationen in welchen sie sich selbst voll und ganz Vatko und seinen kreativen Ideen ausliefert um zwischen Lust, Schmerz und Kontrollverlust zu wandeln. Vatko ist von der Natur und ihrer Rohheit genau so besessen wie von Mina, deren Vertrauen und Schmerzbereitschaft ihn einen Großteil seiner Fantasien erleben lässt.


Achtung Spoiler

Ich mag das Ende das Romans, das zwei Menschen zu einander führt, die einander geben können was sie brauchen, ohne einen Dritten (der nicht verstehen oder genießen könnte) zu verletzen. Mina hat so einige andere Liebhaber in ihrer Zeit fernab von Zuhause und lernt, dass für sie normaler Sex nur einen billigen Abklatsch jener Empfindungen, die sie mit Vatko teilen konnte, bedeutet. Der „normale Verkehr“ wird wird von der Autorin in Minas Augen als lasch und fahl beschrieben. Die Protagonistin, die sich und ihren Genuss an Brutalität lange als eigenen Fehler bezeichnet, sehnt sich nach dem Menschen, der ihr Bedürfniss stillen und geben kann was sie sucht.

„Ihr erkennt einander. Weil ihr euch zu erkennen gebt. Mit der Art, wie ihr einander anseht oder zur Begrüßung umarmt. Manche mit ihrer Kleidung, ihrer Stimmlage, einem Hüftschwung. Bei mir schweigen sie und bleiben für sich.“

Seite 251

Fazit

Grundsätzlich halte ich dieses Buch für sehr gesellschaftskritisch und mag die verpackte Message. Fast schon zu passend gewählt, bringt es der Titel des Romanes schlichtweg auf den Punkt – anders zu sein und andere Vorlieben zu hegen, wird als fehlerhaft bezeichnet. Nicht umsonst besagt ein japanisches Sprichtwort, dass der herausstehende Nagel eingeschlagen werden soll. In meinen Augen hat „Der Defekt“ das optimale Ende, zwei Menschen verstehen und geben sich einander was sie brauchen.

„Der Defekt“ unterhält nicht locker und ungezwungen, viel mehr handelt es sich um ein zwar sehr interessantes Buch, das aber neben Faszination auch Irritation hinterlässt. Ich kann diese spannende Auseinandersetzung mit den speziellen Vorlieben eines jungen Mädchens und ihrem Kampf mit der eigenen Lust und Moralvorstellungen (und/oder gesellschaftlicher Anerkennung) nur wärmstens weiterempfehlen.

–> Danke an den Kein & Aber Verlag für diese Bücherüberraschung der besonderen Art!

Buchinformationen

Leona Stahlmann – „Der Defekt“, Kein & Aber Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3036958217

(verfasst von Simone)

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